Studie zur Flächennutzung: Mit alternativen Proteinen lässt sich der Anteil von Ökolandbau in Deutschland auf über 30% steigern
17. Januar 2024
Eine neue Studie zeigt, dass Investitionen in alternative Proteine in Deutschland den Anteil der ökologisch bewirtschafteten Flächen in Deutschland von 10% auf 32% steigern und gleichzeitig dafür sorgen könnten, dass insgesamt über 4 Millionen Hektar für Renaturierungsmaßnahmen genutzt werden.
Pflanzenbasierte Lebensmittel und andere alternative Proteinquellen haben eine deutlich bessere Flächeneffizienz als Fleisch- und Milchprodukte aus der Tierhaltung. Durch einen höheren Anteil dieser Lebensmittel an unserer Ernährung könnten Flächen für andere Nutzungsformen verfügbar werden, die heute für die Tierhaltung und den Anbau von Futtermitteln benötigt werden. Dies könnte Deutschland in die Lage versetzen, den Anteil der ökologischen Landwirtschaft auf 32% zu erhöhen und gleichzeitig sicherzustellen, dass insgesamt über 4 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche für Renaturierungsmaßnahmen genutzt werden. Landwirte und die ländlichen Räume könnten davon deutlich profitieren, wenn die Politik sie bei diesem Wandel tatkräftig unterstützt und sie beispielsweise für den Ausbau und die Pflege von natürlichen Kohlenstoffsenken entlohnt. Schließlich könnte Deutschland seine Abhängigkeit von Agrarflächen außerhalb Europas um drei Viertel verringern.
Dies sind Ergebnisse der neuen Studie „Eine neue Flächendividende”, die der Think Tank Green Alliance im Vorfeld der Internationalen Grünen Woche in Berlin vorlegt. Beauftragt und finanziert wurde die Studie durch das Good Food Institute Europe, eine Nichtregierungsorganisation, die im Bereich alternative Proteine tätig ist. Green Alliance hat für zehn europäische Länder untersucht, wie es sich auf die Nutzung der landwirtschaftlich genutzten Flächen auswirken würde, wenn der Anteil von Fleisch- und Milchalternativen auf Basis von Pflanzen, Fermentation und Kultivierung am gesamten Markt für Fleisch- und Milchprodukte bis 2050 auf ein Sechstel (niedriges Szenario) oder zwei Drittel (ambitioniertes Szenario) steigen würde.
Der Status quo in Deutschland
Gegenwärtig werden 16,7 Millionen Hektar in Deutschland für die Landwirtschaft genutzt, das entspricht 47 Prozent der Landesfläche. Dabei werden die landwirtschaftlichen Flächen in Deutschland vor allem genutzt, um Tiere zu halten und um Futtermittel für die Tierhaltung herzustellen. Zudem beansprucht Deutschland in anderen Ländern noch einmal 13 Millionen Hektar, um Nahrungsmittel und Futtermittel für Importe anzubauen.
Gegenwärtig werden rund 10% der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Die Farm-to-Fork-Strategie der EU sieht das Ziel von 25% vor und im deutschen Koalitionsvertrag wird ein Anteil von 30% angestrebt. Der höhere Flächenbedarf und die geringeren Erträge sind jedoch gegenwärtig limitierende Faktoren für den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft. Alternative Proteine könnten diese Transition leichter machen.
Alternative Proteine ermöglichen den Ausbau der ökologischen Landwirtschaft
Wie viel Fläche für andere Nutzungsformen verfügbar sein wird, hängt davon ab, in welchem Umfang sich alternative Proteine durchsetzen. Selbst im niedrigen Szenario, in dem pflanzenbasierte und fermentationsbasierte Produkte einen Marktanteil von einem Sechstel am gesamten Markt für Fleisch- und Milchprodukte erreichen, könnten 22% der landwirtschaftlich genutzten Nutzfläche in Deutschland verfügbar werden, um den Ökolandbau auszubauen, um naturnahe Lebensräume zu schaffen – beispielsweise um Wälder aufzuforsten – und um die Nutzung von Flächen im Ausland deutlich zu reduzieren. Diese Fläche würde sich auf 3,7 Millionen Hektar belaufen und wäre damit größer als Baden-Württemberg.
Schon in diesem niedrigen Szenario könnte der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche in Deutschland mehr als verdoppelt werden. Gleichzeitig würde die Fläche, die Deutschland gegenwärtig in anderen Ländern für den Anbau von importierten Lebensmitteln und Futtermitteln beansprucht, um 31% sinken. Eine Fläche von 4 Millionen Hektar würde so frei werden, was der Fläche von Paraguay entspricht.
Im hohen Szenario, in dem alternative Proteine einen Marktanteil von zwei Drittel hätten und auch kultiviertes Fleisch eine große Rolle spielt, könnten sogar 43% der landwirtschaftlich genutzten Fläche in Deutschland genutzt werden, um ökologische Anbauformen und Renaturierungsmaßnahmen voranzubringen und um Deutschlands Abhängigkeit von Agrarflächen außerhalb Europas zu reduzieren. Diese Fläche von 7,1 Millionen Hektar ist größer als Bayern.
In diesem ambitionierten Szenario könnte der Anteil der ökologisch bewirtschafteten Fläche in Deutschland von heute 10% auf 32% steigen. Gleichzeitig könnte der Anteil von naturnahen Lebensräumen wie Wäldern an der deutschen Landesfläche durch Renaturierungsmaßnahmen von 43 Prozent auf 55 Prozent (um 4,3 Millionen Hektar) gesteigert werden. Und schließlich könnte die Fläche, auf der in anderen Ländern Lebensmittel und Futter für Deutschland angebaut werden, um 77% reduziert werden. Die frei werdende Fläche wäre 10 Millionen Hektar groß, also fast so groß wie Bolivien. Dies würde Deutschland unabhängiger von Agrarflächen im Ausland machen und den Entwaldungsdruck in vielen Ländern im globalen Süden deutlich reduzieren.
Bei der Modellierung ist Green Alliance davon ausgegangen, dass die entstehende Flächendividende recht gleichmäßig auf den Ausbau des Ökolandbaus, auf Renaturierungsmaßnahmen und auf die Reduzierung der Abhängigkeit von Landflächen im Ausland aufgeteilt wird. Dies ist jedoch eine politische Entscheidung.
Politischer Handlungsbedarf in Deutschland
Die Green Alliance Studie zeigt, wie die Flächendividende durch alternative Proteine mehr Spielraum für die Politik in Deutschland und Europa schafft, um zentrale Ziele in den Bereichen Nachhaltigkeit und Resilienz zu erreichen. Zudem zeigt sie auf, wie Landwirte und ländliche Räume von einer anderen Nutzung von Flächen profitieren können, wenn die Politik sie bei der Transformation unterstützt.
Damit dieses Potenzial gehoben wird, braucht es zum einen öffentliche Investitionen und eine verlässliche Regulierung, damit alternative Proteine wettbewerbsfähig im Hinblick auf den Geschmack und den Preis werden können. Einen ersten Schritt dafür könnte das von der Regierungskoalition geplante Chancenprogramm Höfe sein. Zum anderen sollten die politischen Entscheidungsträger den Landwirten die Sicherheit und die langfristige Finanzierung geben, die sie brauchen, um auf extensive Anbauformen umzusteigen oder um naturnahe Lebensräume wie Wald oder Moore auszubauen.
Dustin Benton, Policy Director bei Green Alliance: „Alternative Proteine stellen eine beispiellose Flächendividende in Europa in Aussicht, die die Chance bietet, die Einkommen im ländlichen Raum zu verbessern, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu stärken, Flächen zu renaturieren und den Klimawandel zu begrenzen. Aber um diese Chance optimal zu nutzen, muss die Politik in alternative Proteine investieren und die Landwirte dabei unterstützen, ihr Land anders zu bewirtschaften.”
Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager Deutschland bei GFI Europe: „Mit einem höheren Anteil von alternativen Proteinen können wir die Flächen zur Verfügung stellen, die es für mehr ökologische Landwirtschaft und für die Schaffung von natürlichen Kohlenstoffsenken braucht, und gleichzeitig mehr Lebensmittel in Deutschland anbauen statt sie aus dem Ausland zu importieren. Viele deutsche Landwirte sind bereits dabei, auf diese neuen Möglichkeiten umzustellen, und viele weitere sind offen dafür. Entscheidend ist dabei die Unterstützung aus der Politik. Mit dem von der Regierungskoalition geplanten Chancenprogramm Höfe hat der Bundestag die ersten Schritte dafür eingeleitet. Entscheidend ist nun die effiziente Umsetzung des Programms durch die Bundesregierung und dass die Mittel in den kommenden Jahren bedarfsgerecht aufgestockt werden.”