Rolle der Politik

Deutschland hat alle Voraussetzungen dafür, um bei der Gestaltung der Proteinwende eine Vorreiterrolle zu spielen und zu einem Innovationsführer in diesem Bereich zu werden. Dies würde der deutschen Volkswirtschaft einen bedeutenden Anteil am künftigen Wachstum in diesem Bereich sichern und mit den politischen Zielen in den Bereichen Klima-, Umwelt-, Gesundheits- und Tierschutz in Einklang stehen.

Doch um in diesem dynamisch wachsenden Feld ins Spitzenfeld aufzurücken und das Potenzial für die Lösung von gesellschaftlichen Problemen zu heben, werden private Investitionen allein nicht ausreichen. Hierfür braucht es mehr Unterstützung durch die Politik in Bund und Ländern, insbesondere einen verlässlichen Pfad für die Markteinführung, faire Wettbewerbsbedingungen und eine aktive Förderung des Sektors durch öffentliche Akteure.

Das Good Food Institute schlägt insgesamt 15 Maßnahmen in fünf Handlungsfeldern vor, mit denen sich alternative Proteine in Deutschland voranbringen und ihre gesellschaftlichen Vorteile maximieren lassen.

Verankerung im Regierungsprogramm

Die Bundesregierung sollte alternative Proteine zu einem zentralen Baustein der deutschen Nachhaltigkeits- und Innovationsstrategien machen und deren Förderung in der Nationalen Ernährungsstrategie, der Forschungsstrategie, der Klimaschutzstrategie, der Bioökonomiestrategie und der Eiweißpflanzenstrategie verankern. Mittelfristig sollte Deutschland eine umfassende Roadmap für die Markteinführung alternativer Proteine entwickeln, die verbindlich darlegt, was getan werden muss, um Deutschland bis 2030 als globalen Innovationsführer in diesem Bereich zu etablieren.

Verankerung der Proteinwende im Regierungsprogramm

Die Bundesregierung sollte die Proteinwende fest in den angekündigten Innovations- und Nachhaltigkeitsstrategien verankern: Insbesondere sollte die Bundesregierung bei der Entwicklung der Nationalen Ernährungsstrategie den Übergang zu alternativen Proteinen als wichtigen Lösungsansatz berücksichtigen. Zudem sollte die Bundesregierung alternative Proteinquellen zu einem zentralen Baustein in ihren nationalen Strategien für Klimaschutz und Meeresschutz machen. Vor dem Hintergrund der großen Chancen für den Wissenschafts- und Technologiestandort Deutschland sollte die Bundesregierung alternative Proteine auch zu einem wesentlichen Innovationsfeld in ihrer Forschungsstrategie und in ihrer Bioökonomiestrategie erklären.

Entwicklung einer Nationalen Roadmap für die Proteinwende

Deutschland sollte eine umfassende Roadmap für die Proteinwende entwickeln, die messbare Ziele für die Entwicklung des Sektors definiert und darlegt, was auf Seiten von Wirtschaft und Politik getan werden muss, um Deutschland bis 2030 an der Spitze zu positionieren. Die Roadmap sollte alle relevanten Aspekte des Themas in einer umfassenden Gesamtstrategie bündeln: die Definition von Forschungsprioritäten, die Koordinierung der öffentlichen Forschungsförderung, die Klärung von regulatorischen Fragen zur Zulassung und zur Kennzeichnung der Produkte, den Aufbau von Kapazitäten bei der Infrastruktur, faire Wettbewerbsbedingungen, die Rolle von Landwirt:innen bei der Transformation.

Ernennung eines Nationalen Koordinators für alternative Proteine

Angesichts des enormen Potenzials von alternativen Proteinquellen als Wirtschaftsfaktor und als vielversprechender Lösungsansatz für den Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz sollte die Bundesregierung einen Nationalen Koordinator für alternative Proteine ernennen, der die Umsetzung der Nationalen Roadmap in allen Bereichen (pflanzenbasiert, kultiviert, fermentationsbasiert) überwacht und die Koordinierung zwischen den relevanten Ministerien und Behörden sicherstellt. 

Ausbau der Forschungsförderung

Bund und Länder sollten mehr öffentliche Mittel für Forschung und Entwicklung im Bereich der alternativen Proteinquellen bereitstellen, um den Übergang zu einer nachhaltigeren Proteinversorgung zu beschleunigen. Öffentlich finanzierte Open-Access-Forschung kann das Wachstum des gesamten Sektors und nicht nur einzelner Unternehmen fördern. Dies würde sicherstellen, dass pflanzenbasierte, kultivierte und fermentationsbasierte Lebensmittel ihr volles Potenzial für die Bekämpfung des Klimawandels, den Schutz der öffentlichen Gesundheit und die Ernährung der wachsenden Weltbevölkerung entfalten können.

Erhöhung der Forschungsförderung für alternative Proteine

Die deutsche Politik sollte auf allen Ebenen nennenswerte Summen in die öffentliche Forschungsförderung zu alternativen Proteinquellen investieren und dabei der Open-Access-Forschung Vorrang einräumen. Um mit der Dynamik in unseren Nachbarländern mithalten zu können, sollte die Bundesregierung mindestens 100 Millionen Euro pro Jahr in die Forschungsförderung im Bereich alternative Proteinquellen investieren. Zudem sollte die Bundesregierung bei der Weiterentwicklung des EU-Forschungsprogramms Horizon Europe darauf achten, dass alternative Proteine höher priorisiert werden.

Etablierung eines Forschungszentrums für alternative Proteine

Die Bundesregierung sollte ein spezialisiertes Forschungszentrum für alternative Proteine einrichten, das technologieoffen das gesamte Spektrum der allgemeinen Proteine abdeckt (pflanzenbasiert, kultiviert, fermentationsbasiert) und weitere Innovationen in diesem Bereich fördert. Dabei sollte der inhaltliche Schwerpunkt auf jenen Herausforderungen und Engpässen liegen, die gegenwärtig noch verhindern, dass nachhaltigere Optionen geschmacklich und preislich mit Produkten aus der Tierhaltung mithalten können. Das Forschungszentrum sollte sich auf Open-Access-Forschung konzentrieren, denn dies stellt sicher, dass die Forschungsergebnisse dem ganzen Sektor zugutekommen und nicht nur einzelnen Unternehmen.

Verankerung von alternativen Proteinen an deutschen Hochschulen

Bund und Länder sollten alternative Proteine stärker in der deutschen Hochschullandschaft verankern — zum einen, um die Forschungstätigkeit im universitären Bereich zu stärken, aber auch, um dem Fachkräftemangel im Bereich alternativer Proteinquellen vorzubeugen. Der Bund und die Länder sollten in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich in die Etablierung von Instituten und Lehrstühlen investieren, die sich ausschließlich oder vorrangig mit alternativen Proteinen befassen und öffentliche Zuschüsse für Forschende und Forschungsinstitute gewähren.

Evidenzbasierte Regulierung

Die Bundesregierung sollte eine verlässliche Umsetzung des Zulassungsverfahrens für neuartige Lebensmittel auf der europäischen Ebene sicherstellen, um das Vertrauen der Verbraucher:innen in alternative Proteine zu stärken. Dabei gilt es zu garantieren, dass sich die Entscheidung über die Zulassung eines Produktes ausschließlich an den Bewertungen der Expert:innen für Lebensmittelsicherheit orientiert. Dort, wo es Möglichkeiten gibt, das Verfahren unter Wahrung desselben hohen Sicherheitsstandards effizienter zu machen, sollte sich Deutschland für entsprechende Verbesserungen einsetzen.

Evidenzbasierte Entscheidungen im Zulassungsverfahren

In der letzten Phase des Zulassungsverfahrens für Novel-Food-Produkte spielen die EU-Mitgliedsstaaten eine entscheidende Rolle. Die deutschen Vertreter:innen im zuständigen PAFF-Ausschuss sollten sicherstellen, dass die Entscheidungsfindung ausschließlich auf der Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgt. Grundlage für die Zulassung eines Produktes für den europäischen Markt muss die Bewertung der Lebensmittelsicherheit und des Nährwertprofils sein. Andere Erwägungen, wie etwa politische oder kommerzielle Interessen, sollten in diesem Prozess keinen Platz haben, da dies das Vertrauen der Bürger:innen in den Rechtsrahmen erschüttern könnte.

Orientierung für das Zulassungsverfahren und für Verkostungen

Die Bundesregierung sollte deutsche Unternehmen unterstützen, die eine Zulassung nach der Novel Food Verordnung anstreben. Hierfür sollte die Bundesregierung maßgeschneiderte Leitfäden entwickeln, in denen aufbereitet ist, was in den Zulassungsverfahren für neuartige Lebensmittel auf Basis von Pflanzen, Zellkultivierung, Biomassefermentation und Präzisionsfermentation jeweils zu beachten ist. Ergänzt werden sollten die Leitfäden durch die Benennung von Ansprechpartner:innen in den Ministerien, die Unternehmen in dem Zulassungsverfahren begleiten und unterstützen. Auch im Hinblick auf Verkostungen sollte die Politik den Unternehmen eine Orientierung an die Hand geben, wie Produktverkostungen rechtssicher durchführbar sind.

Evaluierung des Zulassungsverfahrens im Hinblick auf mehr Effizienz

Die Bundesregierung sollte das Zulassungsverfahren auf EU-Ebene proaktiv und fortwährend evaluieren. Zu diesem Zweck sollte sie in engem Kontakt mit den Zulassungsbehörden und den antragstellenden Unternehmen stehen und auch wissenschaftlichen Rat einholen. Zudem sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, dass der Rechtsrahmen für die Zulassung von alternativen Proteinen das hohe Innovationstempo und die Dynamik des internationalen Marktgeschehens berücksichtigt. Wo sich Möglichkeiten ergeben, das Zulassungsverfahren bei gleichbleibend hohem Sicherheitsstandard effizienter zu gestalten, sollte die Bundesregierung darauf hinwirken, dass dieses Potential auch gehoben wird.  

Investitionen in die Infrastruktur

Bund und Länder sollten Infrastrukturinvestitionen im Bereich alternativer Proteinquellen finanziell absichern, um dem Sektor beim Skalieren zu helfen und so die nachhaltige Umgestaltung des Ernährungssystems zu beschleunigen. Viele Unternehmen beginnen damit, ihre Produktion zu skalieren, was enorme Investitionen in die Infrastruktur erfordert, etwa für Pilotanlagen. Die Politik sollte die Unternehmen in dieser kritischen Phase unterstützen, indem sie das Investitionsrisiko verringern — durch Kreditbürgschaften, Anreize für Mindestabnahmeverträge und öffentliche Zuschüsse.

Kreditbürgschaften für den Aufbau von Infrastruktur

Bislang finanziert sich der Sektor für alternative Proteine vor allem durch privates Risikokapital. Dieses Modell eignet sich jedoch nicht für kapitalintensive Investitionen wie Produktionsanlagen, da diese sehr lange Amortisationszeiten und eine zunächst geringe Renditeerwartung haben. Die Unternehmen müssen also finanzstarke Investoren finden, die in der Lage sind, erhebliche Kapitalbeträge beizusteuern. Banken und andere Fremdkapitalgeber gewähren jedoch selten Kredite an Startups oder Unternehmen mit begrenzter Umsatzhistorie. Deshalb sollten die Bundesregierung bzw. ihre Behörden das Risiko für potenzielle Geldgeber durch Kreditbürgschaften mindern.

Zuschüsse für Startups in der Skalierungsphase

Vielen Startups, die in Deutschland an der Entwicklung von alternativen Proteinquellen arbeiten, ist es gelungen, ausreichend privates Kapital in den ersten Finanzierungsrunden einzusammeln. Beim Übergang von der Entwicklungs- zur Wachstumsphase, in der es größere Summen für den Aufbau von Produktionskapazitäten braucht, ist das erfahrungsgemäß schwieriger. In solchen Fällen sollte die Politik in Bund und Ländern öffentliche Zuschüsse gewähren, um den Unternehmen eine alternative Finanzierungsmöglichkeit zu bieten und die Skalierung der Produktion abzusichern.

Unterstützung von Mindestabnahmeverträgen

Mindestabnahmeverträge, in denen sich strategische Käufer dazu verpflichten, eine bestimmte Menge eines Produkts abzunehmen, können das Risiko für die Kreditgeber reduzieren und sind häufig erforderlich, um Darlehen für Infrastrukturprojekte zu erhalten. Ähnliche Mechanismen werden zum Beispiel im Pharmasektor eingesetzt, um die Entwicklung gesellschaftlich nützlicher Produkte mit hohen Vorlaufkosten zu fördern, wie etwa Impfstoffe für Schwellen- und Entwicklungsländer. Die Bundesregierung sollte Anreize für derartige Mindestabnahmeverträge schaffen und potentielle Käufer mit Herstellern von alternativen Proteinen zusammenzubringen.  

Fairer Wettbewerb

Der Gesetzgeber sollte faire Wettbewerbsbedingungen für pflanzenbasierte Lebensmittel und andere alternative Proteinquellen sicherstellen, um wirkliche Wahlfreiheit für die Verbraucher:innen zu schaffen. Insbesondere sollten pflanzliche Produkte bei der Mehrwertsteuer nicht länger schlechter behandelt werden als Produkte aus der Tierhaltung. Zudem sollten die Regeln für Produktbezeichnungen von Alternativprodukten erlauben, vertraute Namen und Beschreibungen zu verwenden, damit die Verbraucher:innen wissen, was sie im Hinblick auf Geschmack, Textur und Zubereitung erwarten können.

Senkung der Mehrwertsteuer für pflanzenbasierte Optionen

Der globale Markt für pflanzenbasierte Fleisch- und Fischalternativen ist 2022 um rund 8 Prozent gewachsen, der weltweite Markt für Milchprodukte auf pflanzlicher Basis um rund
7 Prozent. Insgesamt war der weltweite Markt für pflanzliche Alternativen zu tierischen Produkten 2022 rund 27,8 Milliarden US-Dollar groß.

Die Benachteiligung von pflanzlicher Milch bei der deutschen Mehrwertsteuer steht in eklatantem Widerspruch zu den deutschen Nachhaltigkeitszielen und sollte daher schnellstmöglich korrigiert werden: Der Gesetzgeber sollte die Mehrwertsteuer für pflanzenbasierte Optionen anpassen — idealerweise durch eine Reduktion des Steuersatzes für pflanzliche Lebensmittel auf null, um eine positive Lenkungswirkung zu erzielen, mindestens aber durch eine Senkung auf den reduzierten Mehrwertsteuersatz, um die gegenwärtige negative Lenkungswirkung zu Lasten von pflanzenbasierten Produkten zu beenden.

Klare Kennzeichnungsregelungen für pflanzenbasierte Lebensmittel

In Deutschland arbeitet die Deutsche Lebensmittelbuchkommission (DLMBK), ein Beratungsgremium des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, an neuen Leitsätzen für vegane und vegetarische Lebensmittel. Die Bundesregierung und der Gesetzgeber sollten sicherstellen, dass die Verwendung von vertrauten Bezeichnungen wie Burger, Wurst, Nugget, Steak und Filet weiter zulässig sind, solange erkennbar ist, dass das Produkt auf pflanzlicher Basis hergestellt wurde. Auch eine weitere Verschärfung von bestehenden Restriktionen bei der Benennung und Beschreibung von pflanzlichen Milchprodukten sollte zuverlässig ausgeschlossen werden.

Klare Kennzeichnungsregelungen für kultiviertes Fleisch

Die Politik muss rechtzeitig klären, mit welchen Produktbezeichnungen und Kennzeichnungsanforderungen kultiviertes Fleisch nach der Zulassung in Europa verkauft werden darf. Hierbei sollte Deutschland bei den Debatten auf der europäischen Ebene sicherstellen, dass die Regelungen fair und transparent sind und sich an den Verbraucher:innen orientieren. Da diese Produkte auf zellulärer Ebene mit Fleisch aus der Tierhaltung identisch sein werden, ist es erforderlich, dass Begriffe wie Fleisch, Rind, Fisch, Kabeljau usw. verwendet werden können. Zweitens sollte auf der Verpackung klar deutlich werden, dass das Produkt aus der Kultivierung stammt. Und drittens sollten vertraute Produktbezeichnungen wie Burger, Nugget und Steak erlaubt sein, damit Verbraucher:innen wissen, was sie im Hinblick auf Geschmack, Textur und Kocheigenschaften erwarten können.

Unser Team für Deutschland

Ivo und Lia arbeiten mit Politik, Nichtregierungsorganisationen und anderen Stakeholdern in Deutschland zusammen, um die politischen Rahmenbedingungen für alternative Proteine im größten Land Europas zu verbessern, damit die ökologischen und gesundheitlichen Vorteile von pflanzenbasiertem und kultivierten Fleisch voll zum Tragen kommen. Sie erreichen unser Team unter deutschland@gfi.org.