Grünes Licht für kultiviertes Fleisch in den USA – Meilenstein mit Signalwirkung für Europa

Eine historische Entscheidung der FDA schafft die Voraussetzungen dafür, dass US-amerikanische Verbraucher:innen bald kultiviertes Fleisch kaufen können. GFI appelliert an die politischen Entscheider in Europa, sicherzustellen, dass die Vorteile von kultiviertem Fleisch auch in Europa zum Tragen kommen.

Kultiviertes Fleisch von UPSIDE Foods
Foto: UPSIDE Foods

Zum ersten Mal hat ein Produkt aus kultiviertem Fleisch in den USA grünes Licht im Rahmen des behördlichen Zulassungsprozesses bekommen. Dies hat die zuständige US-amerikanische Behörde Food and Drug Administration (FDA) bekanntgegeben. 

Das Unternehmen UPSIDE Foods hat die strenge Sicherheitsprüfung der FDA für sein kultiviertes Hühnerfleisch erfolgreich abgeschlossen und damit bewiesen, dass es genauso sicher ist wie Hühnerfleisch aus der Tierhaltung. Dieser historische Meilenstein ebnet den US-amerkikanischen Verbraucher:innen den Weg für den baldigen Zugang zu diesen Produkten in Restaurants und im Einzelhandel im ganzen Land. 

Dies versetzt UPSIDE Foods nun in die Lage, mit dem Produkt in den Standardprozess für die Zulassung von Lebensmitteln einzusteigen. Dieser Prozess entspricht dem Verfahren bei der Einführung von konventionellen Geflügelprodukten, bei dem die Hersteller den Nachweis einer sicheren Produktionsweise und Weiterverarbeitung nachweisen müssen. 

Nun da kultiviertes Hühnerfleisch von UPSIDE FOODS erfolgreich die Prüfung durch die FDA durchlaufen hat, rückt es in Greifweite, dass die Verbraucher:innen in den USA bald kultiviertes Fleisch kaufen können. 

Seth Roberts, Policy Manager beim Good Food Institute Europe: „Dies ist ein Meilenstein für kultiviertes Fleisch und sendet ein starkes Signal in die ganze Welt, dass es ein wichtiger Teil unserer künftigen Ernährung sein wird. Kultiviertes Fleisch wird uns dabei helfen, die weltweit wachsende Nachfrage nach Fleisch zu einem Bruchteil der natürlichen Ressourcen zu decken.” 

„Während sich die Weltklimakonferenz COP27 dem Ende zuneigt, ist diese Entscheidung ein deutliches Zeichen an die politischen Entscheider in Europa: Sie sollten in Klimaschutzlösungen wie kultiviertes Fleisch investieren – wie sie es zuvor bei den Erneuerbaren Energien getan haben – damit die Vorteile von kultiviertem Fleisch auch in Europa zum Tragen kommen.” 

Hintergrund:

Was ist kultiviertes Fleisch?

Bei kultiviertem Fleisch handelt es sich grundsätzlich um dasselbe Fleisch, das wir heute essen. Es wird jedoch nicht durch das Schlachten von Tieren hergestellt, sondern durch das Vermehren von Zellen in Fermentern, wie sie auch zum Bierbrauen verwendet werden.

Wie funktioniertes das Kultivieren von Fleisch?

Die Kultivierung von Fleisch lässt sich vergleichen mit der Aufzucht von Pflanzen in einem Gewächshaus, das die Pflanzenstecklinge mit Wärme, fruchtbarem Boden und Nährstoffen versorgt. Bei der Kultivierung von Fleisch wird einem lebenden Tier zunächst eine harmlose Gewebeprobe entnommen, aus der Zellen gewonnen werden. Die Zellen kommen dann in einen Fermenter, in dem sie mit den Nährstoffen versorgt werden, die sie für die Vermehrung und für ihr Wachstum zu Fleisch benötigen. Auf molekularer Ebene ist kultiviertes Fleisch identisch mit Fleisch aus der Tierhaltung – es schmeckt genauso und lässt sich auch so zubereiten, benötigt aber nur einen Bruchteil der Ressourcen. 

Warum brauchen wir kultiviertes Fleisch?

Die Tierhaltung ist für rund 20% der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich und damit für mehr als der gesamte Transportsektor – inklusive aller Autos, Flugzeuge, Schiffe und Züge zusammen. Die globale Nachfrage nach Fleisch wird sich bis 2050 fast verdoppeln. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Klimakrise und der knappen Land- und Wasserressourcen wäre es unverantwortlich, diese steigende Nachfrage durch den weiteren Ausbau der Tierhaltung zu decken. 

Eine Studie von CE Delft, die sich auf empirische Daten in diesem Bereich stützt, zeigt dass bis zu 92 % der Treibhausgasemissionen eingespart werden können und dass der Flächenbedarf um bis zu 95 % sinkt, wenn Rindfleisch in industriellem Maßstab und mit Erneuerbaren Energien produziert wird. Dieselbe Studie ergab, dass mit erneuerbaren Energien erzeugtes kultiviertes Hühnerfleisch die Treibhausgasemissionen um 17 % reduzieren, die Luftverschmutzung um bis zu 29 % verringern und bis zu 63 % weniger Fläche beanspruchen kann. 

In Europa wird die Mehrheit der Antibiotika nicht an Menschen verabreicht, sondern an Tiere verfüttert. Antibiotikaresistenz ist eine der größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit und hat im Jahr 2019 weltweit bereits 1.2 Millionen Todesfälle verursacht. Für die Kultivierung von Fleisch braucht es hingegen keine Antibiotika, was dabei hilft, die lebenserhaltende Wirkung von Antibiotika für die Humanmedizin zu erhalten. 

Kultiviertes Fleisch in Europa und Deutschland

Der niederländische Wissenschaftler Mark Post Dutch hat im Jahr 2013 den ersten Burger aus kultiviertem Fleisch in London vorgestellt. Seitdem haben viele Unternehmen in Europa damit begonnen, sich in dem Bereich zu betätigen und Produkte zu entwickeln. Gegenwärtig arbeiten in Europa rund 30 Unternehmen an der Entwicklung von kultiviertem Fleisch und Seafood. Dazu gehören etwa die deutschen Unternehmen Bluu Seafood, Innocent Meat und Alife Foods. In Deutschland haben auch große Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft damit begonnen, ihr Portfolio zu erweitern und an kultiviertem Fleisch zu arbeiten – darunter die PHW Group, die Rügenwalder Mühle und InFamily Foods. 

Eine Umfrage von GFI Europe hat festgestellt, dass das Interesse an kultiviertem Fleisch in europäischen Kernmärkten steigt: 57 % der Menschen aus Deutschland haben darin angegeben, dass sie kultiviertes Flesich kaufen würden, wenn es in Europa verfügbar wird. In Spanien haben das 65 %, in Italien 55 % und in Frankreich rund ein Drittel der Menschen geantwortet. 

Die Umfrage hat zudem ergeben, dass die Menschen sich von kultiviertem Fleisch positive Effekte für das Klima und die Umwelt erwarten. Vor diesem Hintergrund haben auch 56 % der Deutschen die Erwartung geäußert, dass die Politik diese neue Form der Fleischherstellung unterstützt. In Spanien waren das 68 %, in Italien 58 % und in Frankreich 38 %.

Das Zulassungsverfahren in Europa

Bevor ein Produkt aus kultiviertem Fleisch in Europa verkauft werden darf, muss es einen Zulassungsprozess durchlaufen und durch die zuständigen Behörden als sicher eingestuft werden. In der Europäischen Union wird das Zulassungsverfahren durch die Novel-Food-Verordnung geregelt. Sobald ein Produkt zugelassen ist, kann es in allen 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union erkauft werden. Der Zulassungsprozess umfasst eine gründliche und evidenzbasierte Prüfung der Sicherheit und des Nährwerts von kultiviertem Fleisch. Es wird geschätzt, dass der Prozess mindestens 18 Monate dauern wird. 

GFI Europe arbeitet mit politischen Entscheidungsträgern in ganz Europa zusammen, um ein verlässliches, transparentes und evidenzbasiertes Zulassungsverfahren sicherzustellen. Gegenwärtig ist noch kein Unternehmen, das kultiviertes Fleisch herstellt, mit einem Produkt im Zulassungsverfahren nach der Novel-Food-Verordnung. 

Warum der Begriff „kultiviertes Fleisch”? 

Das Good Food Institute verwendet den Begriff „kultiviertes Fleisch”, weil die Zellen dabei in einem Kultivator bzw. Fermenter kultiviert werden. Es gibt auch andere Bezeichnungen für kultiviertes Fleisch, etwa „Clean Meat” oder „In vitro-Fleisch”, die das eigentliche Herstellungsverfahren aber nicht akkurat beschreiben. Besonders irreführend ist der Begriff „Laborfleisch”. In industriellem Maßstab wird kultiviertes Fleisch nicht in einem Labor hergestellt, sondern in einem Fermenter – als Teil einer Anlage, die einer Brauerei ähnelt. Alle Arten von Lebensmitteln werden regelmäßig im Labor untersucht, auch zum Beispiel Cornflakes. Niemand käme deshalb auf die Idee, Cornflakes „Labor-Cornflakes” zu nennen.