Proteindiversifizierung als Hebel für globale Resilienz – wie wir 2025 die Basis für die nächste Phase der Proteinwende gelegt haben
This article is also available in English.
9. Dezember 2025

Die Jahresringe von Bäumen zeigen ein Wechselspiel aus breiten, weichen Ringen aus Holz, das im Sommer entsteht, und schmaleren, dichteren Ringen aus der kalten Jahreszeit. Denn mit viel Sonne und ausreichend Regen wachsen Bäume zwar schneller, doch ihr härtestes Holz bilden sie in Phasen knapper Ressourcen. Ohne dieses langsamere, robustere Wachstum wären sie anfälliger für Stürme und andere Belastungen.
Für die Welt insgesamt und für alternative Proteine war 2025 eine solche Phase langsameren Wachstums, aber dennoch vieler wichtiger Fortschritte. Das europäische Ökosystem für alternative Proteine ist weiter gereift und GFI Europe hat weiter daran gearbeitet, die wissenschaftlichen, industriellen und politischen Grundlagen für pflanzliche, fermentationsbasierte und kultivierte Lebensmittel zu festigen, um eine belastbare Basis für nachhaltiges Wachstum zu schaffen.
Den nächsten Schritt der Proteindiversifizierung vorbereiten
Das Umfeld für Nachhaltigkeitstechnologien hat sich in den vergangenen Jahren deutlich verändert. Konjunkturelle Abschwächung, geopolitische Spannungen und zunehmende Desinformation haben das anfängliche Wachstumstempo der späten 2010er Jahre spürbar gebremst. Alternative Proteine bilden hier keine Ausnahme. Steigende Kosten und ein unsicheres Klima für private Investitionen haben auch im Sektor für alternative Proteinquellen viele Startups unter Druck gesetzt. Im Vergleich zu etablierten Unternehmen verfügen sie über weniger Puffer, um sich verändernde Marktbedingungen zu kompensieren.
Zusätzlich prägen politische Initiativen gegen pflanzliche Lebensmittel die Debatte in Europa. Vorschläge für Bezeichnungsverbote auf der europäischen Ebene, die 2020 noch abgewehrt werden konnten, wurden in Brüssel wieder aufgegriffen. Diese Initiativen zielen darauf, pflanzlichen Lebensmitteln die Nutzung vertrauter, fleischbezogener Bezeichnungen zu verbieten. Namhafte Unternehmen aus der deutschen Lebensmittelwirtschaft und dem Handel sowie der Zivilgesellschaft haben sich gegen solche Verbote ausgesprochen und dies in einem gemeinsamen offenen Brief deutlich gemacht. Auf EU-Ebene hat ein offener Brief an die Kommission, den Europäischen Rat und das Parlament mit über 600 mitzeichnenden Institutionen deutlich gemacht, dass die Ablehnung der Verbote in vielen Mitgliedstaaten geteilt wird. Aus dem politischen Raum und aus Umfragen in der Bevölkerung ist ebenfalls eine breite Ablehnung zu vernehmen. Zum Ende des Jahres ist aber noch unklar, wie in Europa darüber final abgestimmt wird. Wir werden uns also weiter dagegen einsetzen.
Die starken Grundlagen unter der Oberfläche
Diese Herausforderungen zeichnen jedoch nur einen Teil des Bildes. Während private Investitionen zurückgingen, ist die öffentliche Förderung wissenschaftlicher Forschung weiter gestiegen. Unterstützt durch gemeinnützige Stiftungen ermöglicht sie Open-Access-Forschung, die den Fortschritt im gesamten Sektor beschleunigt, weil neue Erkenntnisse so für alle verfügbar werden. Unsere neuesten Analysen zur Förder- und Publikationslandschaft zeigen, dass sich die Forschung zu alternativen Proteinen in Europa seit 2020 nahezu verdreifacht hat. Allein 2024 wurden europaweit fast 800 wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht, und die öffentliche Forschungsförderung ist von 80 Millionen Euro auf über 320 Millionen Euro gewachsen.
Wachstum der öffentlichen Mittel pro Jahr nach alternativen Proteinquellen in Europa

Anzahl wissenschaftlicher Veröffentlichungen über alternative Proteine in Europa

Europa ist Heimat führender Forschungszentren für alternative Proteine, die internationale Kooperationen ermöglichen und Entwicklungen weltweit voranbringen. Auch im GFI-Forschungsförderprogramm zeigt sich diese Stärke deutlich: Zwölf Projekte wurden in diesem Jahr gefördert, acht davon unter Beteiligung europäischer Institutionen.
Das Feld gewann 2025 weiter an akademischem Gewicht. Führende europäische Universitäten wollen die nächste Generation von Forschenden inspirieren, und an der Universidad San Pablo CEU in Spanien wurde sogar der weltweit erste Masterstudiengang für alternative Proteine angekündigt.
Auch Deutschland, Österreich und die Schweiz zählen laut der Europäischen Kommission weiterhin zu den starken Innovatoren Europas und bringen exzellente Voraussetzungen für Fortschritte bei pflanzlichen, fermentationsbasierten und kultivierten Proteinen mit. Obwohl das wissenschaftliche Ökosystem in der DACH-Region noch zu wenig vernetzt ist, bietet genau diese Ausgangslage die Chance, Initiativen zu bündeln, Sichtbarkeit zu schaffen und neue Forschende für dieses aufstrebende Thema zu gewinnen. Die Region beheimatet bereits einige führende Forschungseinrichtungen und verfügt damit über besonderes Potenzial, die nächste Entwicklungsphase aktiv voranzutreiben.
Der Erwerb von Zelllinien des Unternehmens SciFi Foods durch GFI wird den zukünftigen Fortschritt weiter beschleunigen. Diese Zelllinien können zu echtem Fleisch heranwachsen, ohne dass es dafür der Haltung von Tieren bedarf. Ihre Entwicklung kostet normalerweise Jahre und Millionenbeträge. GFI stellt sie der internationalen Forschung öffentlich zur Verfügung. Damit fällt ein wesentliches Hindernis weg, und der Weg ist frei für mehr Zusammenarbeit, geringere Kosten und schnelleren wissenschaftlichen Fortschritt.
Der Transfer von der Forschung in die unternehmerische Praxis
Die wissenschaftlichen Grundlagen für alternative Proteine sind so stark wie nie zuvor. Nun gilt es, dieses Fundament in praktische Wirkung zu übersetzen und pflanzliche sowie kultivierte Produkte tatsächlich auf die Teller der Menschen zu bringen.
GFI Europe hat in diesem Jahr mit Plant Futures und HarrisX zusammengearbeitet, um besser zu verstehen, was Verbraucherinnen und Verbraucher in Großbritannien und Deutschland wirklich essen möchten. Die Ergebnisse sind positiv: Rund die Hälfte der Menschen in beiden Ländern möchte mehr pflanzliche Lebensmittel konsumieren oder den Fleischkonsum reduzieren. Gleichzeitig bestehen weiter Hürden bei Geschmack, Preis und Kocheigenschaften.
Diese Erkenntnisse haben wir mit Lebensmittelherstellern und Einzelhändlern geteilt, um sie bei der Entwicklung von Produkten zu unterstützen, die ein breites Publikum ansprechen. Unsere Empfehlungen umfassen Verbesserungen bei Geschmack und Preis, leicht nutzbare Rezeptideen und gezielte Angebote an Menschen, die ihre Ernährungsweise ändern möchten.
Während diese Erkenntnisse Unternehmen helfen, auf reale Nachfrage zu reagieren, beeinflussen Missverständnisse über pflanzliche Lebensmittel wie die Debatte um hochverarbeitete Lebensmittel weiterhin die öffentliche Wahrnehmung. In Deutschland verläuft die Diskussion ausgewogener und die Verkaufszahlen steigen weiter, während die Situation in Großbritannien stärker von Polarisierung geprägt ist.
Aufklärung gegen Fehlinformationen
Laut dem Global Risks Report 2024 des Weltwirtschaftsforums ist Fehlinformation eine erhebliche weltweite Bedrohung, Belege dafür gibt es auch beim Thema Gesundheit und Ernährung. Alternative Proteine geraten dabei ins Kreuzfeuer, vor allem in Debatten über hochverarbeitete Lebensmittel (UPF), die beim Nährwertprofil eine notwendige Differenzierung vermissen lassen.
In den vergangenen Jahren wurde in einigen Medienberichten und von manchen Social-Media-Influencern behauptet, pflanzliche Fleischalternativen hätten ähnlich negative gesundheitliche Auswirkungen wie Softdrinks oder Junkfood. Der Forschungsstand spricht jedoch im Gegenteil dafür, dass pflanzliches Fleisch gesundheitliche Vorteile bieten kann, darunter Verbesserungen des Herz-Kreislauf-Systems und ein verringertes Krebsrisiko.
Wir haben die wissenschaftliche Grundlage systematisch aufgearbeitet, um eine belastbare Basis für eine ausgewogene Debatte rund um alternative Proteine und UPF zu schaffen. In Zusammenarbeit mit der Physicians Association for Nutrition haben wir eine umfassende Literaturübersicht zu Forschung und Narrativen rund um UPF und pflanzliches Fleisch erstellt. Sie trägt dazu bei, Mythen rund um Verarbeitung auszuräumen und zeigt die tatsächlichen ernährungsbezogenen und ökologischen Vorteile pflanzlicher Fleischalternativen. Dank unserer engagierten Fördergemeinschaft erhalten Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger damit verlässliche Informationsgrundlagen für ihre Arbeit.
Die Ergebnisse sind eindeutig. Pflanzliches Fleisch hat aus ernährungswissenschaftlicher Sicht nur sehr wenig mit den meisten Lebensmitteln aus der UPF-Kategorie gemein. Und wenn pflanzliche Produkte in Studien zum Nährwertprofil von UPFs überhaupt vorkommen, machen sie nur einen sehr kleinen Anteil der tatsächlich konsumierten Lebensmittel aus. Sie beeinflussen die Gesamtergebnisse daher nicht maßgeblich. Während UPFs tendenziell reich an gesättigten Fetten, Salz und Zucker und arm an Ballaststoffen sind, ist pflanzliches Fleisch im Durchschnitt fettärmer, mit weniger Zucker, proteinreich und eine Quelle für Ballaststoffe.
Gleichzeitig gehört verarbeitetes konventionelles Fleisch zu den UPF-Untergruppen, die am stärksten mit negativen gesundheitlichen Folgen verbunden sind. Dennoch werden Befürchtungen rund um UPF häufig genutzt, um pflanzliches Fleisch ohne eine tragfähige empirische Grundlage anzugreifen. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen haben wir bereits erste Kooperationen aufgebaut. Im Sommer und Herbst hat Amy Williams, die bei uns das Thema Ernährung leitet, zur Entwicklung der EAT-Lancet-2.0-„Community for Action“-Leitlinien für medizinisches Fachpersonal beigetragen.

Strategien für nachhaltiges Wachstum aufsetzen
Alternative Proteine bieten die Chance, Gesundheit und Nachhaltigkeit zu fördern und gleichzeitig nachhaltiges Wachstum zu ermöglichen. Viele Regierungen haben das zu einem zentralen Anliegen erklärt, was den Sektor maßgeblich voranbringen kann. Dazu zählt auch die deutsche Regierungskoalition, die folgerichtig die Förderung nachhaltiger alternativer Proteine in ihrem Koalitionsvertrag verankert hat.
Wir haben 2025 mit der Veröffentlichung eines wegweisenden Reports von Systemiq gestartet, der im Auftrag von GFI Europe das ökologische und wirtschaftliche Potenzial alternativer Proteine in Deutschland analysiert haben. Die Studie zeigt, dass der Sektor bis 2045 bis zu 65 Milliarden Euro zur deutschen Wirtschaft beitragen und entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis zu 250.000 neue Arbeitsplätze schaffen könnte, wenn die politischen Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden und es hinreichend Investitionen in den Sektor gibt.
Die Ergebnisse wurden mit mehr als 600 Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Forschung und Wirtschaft geteilt und fanden Eingang in die Empfehlungen des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutz beim Bundeslandwirtschaftsministerium (WBAE). Zudem wurden diese Daten in der öffentlichen Debatte um das drohende Bezeichnungsverbot für pflanzliche Fleischalternativen in vielen Medien aufgegriffen, darunter BILD, Frankfurter Allgemeine, Spiegel, Handelsblatt und sogar die Washington Post.
Für Spanien haben wir unseren ersten umfassenden Ökosystem-Report veröffentlicht, der das wissenschaftliche Spitzenfeld, Startups und die Innovationslandschaft des Landes abbildet. Alternative Proteine wurden außerdem erstmals in Spaniens nationaler Ernährungsstrategie als eine der wichtigsten Entwicklungen im Agrar- und Lebensmittelsektor anerkannt. Diese Berichte sind nur einige von vielen frei verfügbaren Informationsquellen, die wir in diesem Jahr erstellt haben. Sie helfen dabei, eine klare Roadmap für die breite Einführung alternativer Proteine zu entwickeln. Für Fach- und Expertengruppen wurden insbesondere unser Bericht zu innovativen Finanzierungsmechanismen und unser Briefing zu den Möglichkeiten von Blended Finance aus öffentlichen und privaten Quellen positiv aufgenommen.
Aus starken Grundlagen kann unsere Wirkung weiterwachsen
Zum Ende des Jahres zeigen sich bereits erste Anzeichen für weiteren Fortschritt bei alternativen Proteinen. Im Oktober erhielt das französische Unternehmen Parima als erstes europäisches Unternehmen eine Zulassung für kultiviertes Fleisch in Singapur. Und in Deutschland hat die Bundesregierung im Rahmen ihrer Hightech Agenda Deutschland mit der Transfermaßnahme PIONEER begonnen, alternative Proteinquellen als „zukunftsfähige Säule unserer Ernährung” und einen relevanten Teil der strategisch bedeutsamen Biotechnologie zu erschließen. Das Ziel ist ein resilientes und krisenfestes Ernährungssystem. Im engen Austausch mit Stakeholdern wird dafür der Förderbedarf erfasst und schon Anfang 2027 sollen erste Projekte unter Beteiligung der Wirtschaft beginnen. Im Zusammenwirken mit Deutschlands innovativen Forschungseinrichtungen kann dieses Momentum zu entscheidenden Entwicklungen für alternative Proteine führen.
Auch wenn 2025 von Unsicherheit und Turbulenzen geprägt war, hat unsere Arbeit das europäische Ökosystem für alternative Proteine langfristig gestärkt. Mit der Unterstützung unserer Förderer haben wir uns darauf konzentriert, belastbare Grundlagen zu schaffen, die langfristigen Fortschritt ermöglichen. Von der Analyse der komplexen Dynamiken hinter nachhaltigen Ernährungsgewohnheiten über den Aufbau von Allianzen gegen Fehlinformation bis hin zu Studien zum ökologischen und wirtschaftlichen Potenzial alternativer Proteine, hat unsere Arbeit das Feld gestärkt und neues Momentum geschaffen.
Wir sind dankbar für die Unterstützung einer engagierten Fördergemeinschaft, die unsere Mission teilt und ohne die all dies nicht möglich wäre. Wir blicken mit Zuversicht auf das Jahr 2026 und darauf, auf diesen Grundlagen weiter aufzubauen.