47 % der weltweiten Kapazität im Fermentationsbereich entfallen auf Europa

20. Juli 2023

Europa hat das Potenzial, bei der Herstellung von nachhaltigen Lebensmitteln auf Basis von Fermentation weltweit in Führung zu gehen, denn auf Europa entfällt fast die Hälfte der weltweiten Produktionskapazität in diesem Bereich.

Kapazität im Bereich Fermenter ist einer der größten Engpässe bei der Skalierung

Europa hat das Potenzial, bei der Herstellung von nachhaltigen Lebensmitteln auf Basis von Fermentation weltweit in Führung zu gehen, denn auf Europa entfällt fast die Hälfte der weltweiten Produktionskapazität in diesem Bereich. Weltweit stellen 89 Unternehmen derzeit rund 16 Millionen Liter an Produktionskapazitäten für Lebensmittel auf Basis von Fermentation zur Verfügung — 47 % davon in Europa, 34 % in den USA.

Das zeigt der neu erschienene Report Fermentation — A Global Climate Solution des internationalen Think Tanks Good Food Institute (GFI) und der Strategieberatung Integration Consulting. Der Report zeigt, dass der neu entstehende Wirtschaftsbereich Fermentation schnell wächst, und warnt vor einem möglichen Kapazitätsengpass: Ohne Ausbau der Produktionskapazität drohe die vorhandene Infrastruktur bei einem weiteren Anstieg der Nachfrage an ihre Grenzen zu kommen. 

GFI formuliert konkrete Handlungsempfehlungen für Unternehmen und für die Politik, wie die Produktionskapazität ausgebaut werden kann, um die weltweite Nachfrage nach Fleisch und anderen Proteinen zu bedienen, ohne weiter zum Klimawandel beizutragen. 

Fermentation als Klimaschutztechnologie

Unternehmen im Bereich alternative Proteine nutzen moderne Fermentationsverfahren, um Fleisch-, Fisch-, Eier- und Milchprodukte mit dem unverwechselbaren Geschmack und der Beschaffenheit von tierischen Produkten zu erzeugen – jedoch ohne die Haltung von Tieren. 

Bei der Biomassefermentation nutzen Unternehmen das schnelle Wachstum und den hohen Proteingehalt von Mikroorganismen, um effizient große Mengen an Protein zu produzieren. Hierfür nutzen Unternehmen ein Verfahren, das der Bier- oder Joghurtherstellung ähnelt, um Protein z. B. aus Pilzen oder Mikroalgen zu gewinnen. Mit den entstehenden Proteinen lässt sich Fleisch herstellen, für das keine Tiere gehalten werden müssen. Zu den deutschen Startups in diesem Bereich gehören unter anderem Mushlabs, Kynda Biotech, MicroHarvest, Bosque Foods, ProteinDistillery und Esencia Foods.

Eine Studie des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung zeigt das enorme Potenzial für die Nachhaltigkeit: Wenn nur 20 % des weltweiten Rindfleischkonsums durch Fleisch aus Fermentation ersetzt werden, ließe sich die weltweite Entwaldung um die Hälfte reduzieren.

Bei einem weiteren Verfahren — der Präzisionsfermentation — setzen Unternehmen Mikroorganismen wie Hefe ein, um echte Ei- oder Milchproteine und andere funktionale Inhaltsstoffe zu produzieren. Diese können den vertrauten Geschmack und die Beschaffenheit von Lebensmitteln wie Fleisch, Käse und Eiern liefern, ohne dass dafür Tiere gehalten werden müssen. Zu den in Europa führenden Unternehmen in diesem Bereich gehört das Berliner Startup Formo, das tierfreien Käse und Eiprodukte herstellt.

Erste Analysen zur Umweltbilanz von diesen Lebensmitteln zeigen, dass sich der ökologische Fußabdruck durch Präzisionsfermentation signifikant senken lässt, sowohl im Hinblick auf die Treibhausgasemissionen als auch im Hinblick auf den Flächenbedarf.  

Durch Fermentation kann auch die Lebensmittelverschwendung reduziert werden, indem landwirtschaftliche Überschüsse und Nebenprodukte in nahrhafte und schmackhafte Lebensmittel verwandelt werden, die den Landwirten eine weitere Einnahmequelle bieten. 

Handlungsempfehlungen für Unternehmen 

Der Report rät den Unternehmen, stärker in Fermentationskapazitäten zu investieren, um sich auf die wachsende Nachfrage einzustellen und um sich einen Anteil am wachsenden Markt zu sichern. Eine besondere Rolle komme dabei dem sogenannten „Retrofitting” zu als Alternative zum kompletten Neubau von Anlagen. Durch die Umrüstung von vorhandenen Industriestandorten und Produktionsanlagen ließen sich die Vorlaufkosten um bis zu 70 % senken und die Vorlaufzeiten auf bis zu sechs Monate verkürzen.

In dem Report werden Brauereien als eine besonders geeignete Option hervorgehoben, da die Unternehmen häufig Fermenter, Filtersysteme und andere Anlagen verwenden, die denen zum Bierbrauen ähneln. Ein Beispiel hierfür ist die 2022 angekündigte Kooperation des deutschen Startups Mushlabs, das Fleisch aus Pilzmyzel herstellt, mit dem Brauunternehmen Bitburger, das hierfür Kapazitäten und Nebenprodukte aus der Bierherstellung zur Verfügung stellt. 

Handlungsempfehlungen für die Politik 

Der Report fordert politische Entscheidungsträger auf, stärker in Forschung und Entwicklung im Bereich moderner Fermentationsverfahren zu investieren und den Ausbau von Infrastruktur zu unterstützen, um den Markthochlauf dieser nachhaltigen Lebensmittel zu fördern. Öffentliche Investitionen in den Fermentationsbereich können einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen der Klima- und Nachhaltigkeitsziele leisten.

Zudem zeigt der Report, dass ein Mangel an Produktionskapazitäten viele Startups daran hindert zu wachsen und ihre Produkte auf den Markt zu bringen. Viele Startups befinden sich im Übergang von der Forschungs- und Entwicklungsphase, in der sie mit Wagniskapital finanziert wurden, in die Phase der Kommerzialisierung, in der es neue Finanzierungsformen für die Skalierung der Produktion braucht. In dieser kritischen Phase bedarf es auch der Unterstützung durch die Politik, die durch Bürgschaften und andere Instrumente das Investitionsrisiko für neue Investoren senken kann. 

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager beim Good Food Institute Europe:

„Deutschland ist auf dem Weg, ein globales Kraftzentrum im Bereich fermentationsbasierter Lebensmittel zu werden. Hierzulande gibt es die drittmeisten Startups in diesem Bereich nach den USA und Israel. Entscheidend für den weiteren Erfolg ist nun, dass diese nachhaltigen Innovationen auch auf den Markt kommen und dass die Produktion ausgebaut wird. Unser Report zeigt Wege dafür auf, wie Unternehmen und die Politik das enorme Potential dieser Lebensmittel für den Klimaschutz heben können. Gerade in dieser kritischen Phase zwischen der Forschungs- und der Wachstumsphase können öffentliche Investitionen einen entscheidenden Beitrag für den Erfolg leisten.”     

Carlotte Lucas, Senior Corporate Engagement Managerin beim Good Food Institute:

„Durch moderne Fermentationsverfahren können wir das Fleisch, das sich die Menschen wünschen, auf eine nachhaltige Weise herstellen. Gleichzeitig können Landwirte neue Einnahmequellen erschließen und es können Flächen zur Renaturierung freigegeben werden. Da schwere Hitzewellen und Dürreperioden die Erträge der konventionellen Landwirtschaft zunehmend gefährden, müssen Wirtschaft, Wissenschaft und politische Entscheidungsträger zusammenarbeiten, um den Fermentations-Sektor so schnell wie möglich auszubauen.”