Die ‘Klima-Kuh im Raum’ – wie wir 2024 daran gearbeitet haben, echte Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben
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13. Dezember 2024
Noch immer sieht der Elefant im Raum bei vielen Klimadiskussionen eindeutig nach einer Kuh aus. Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Herstellung und der Konsum von tierischen Produkten in der EU für 12–17 % der Treibhausgasemissionen des Staatenbundes verantwortlich sind. Die öffentliche Förderung der Umstellung der Ernährungssysteme macht jedoch nur einen Bruchteil der Ausgaben für grüne Technologien wie Elektroautos und Erneuerbare Energien aus.
Investitionen in nachhaltige Lebensmittel und insbesondere in die Proteindiversifizierung sind ein Hebel mit größeren Auswirkungen auf das Klima als die Förderung jedes anderen Sektors.
Ernährung ist jedoch komplexer und kulturell stärker verankert als die Frage, welches Auto man fährt oder wie Energie gewonnen wird. Außerdem gehen die Umweltauswirkungen von tierischen Lebensmitteln weit über Emissionen hinaus. Die Tierhaltung hat Einfluss auf die Luft- und Wasserverschmutzung, den Flächenverbrauch und den Verlust der Biodiversität. Ebenso fehlt es bei vielen Akteuren, die für eine effektive Diversifizierung der Proteinversorgung von zentraler Bedeutung sind, an Bewusstsein für das Potenzial alternativer Proteine.
Im Jahr 2024 haben wir uns mit der großen Unterstützung unserer Förderer aufgemacht, das zu ändern.
Wir haben gezeigt, wie alternative Proteine den Übergang zu einer nachhaltigeren Landwirtschaft in Europa unterstützen können.
Anfang 2024 veröffentlicht, lieferte die Studie „Eine neue Flächendividende“, verfasst vom renommierten Climate Think Tank Green Alliance im Auftrag von GFI Europe, Erkenntnisse über die Vorteile alternativer Proteine im Hinblick auf den Flächenverbrauch.
Der in zehn Sprachen verfügbare Report untersucht die größten Agrarländer Europas – Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Polen, Rumänien, Schweden und Spanien. Er stellt fest, dass eine verstärkte Hinwendung zu pflanzlichen, kultivierten und fermentationsbasierten Proteinen dazu führen könnte, dass 21 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in zehn europäischen Ländern dafür genutzt werden könnte, von intensiven landwirtschaftlichen Praktiken zu Ansätzen überzugehen, die zur Wiederherstellung der Biodiversität beitragen und mehr Raum für die Renaturierung schaffen. Mit einem größeren Anteil von alternativen Proteinen an unserer Ernährung ließen sich die Voraussetzungen dafür schaffen, den Ökolandbau in Deutschland auf über 30 % zu steigern.
Über die Reports wurde in mehreren europäischen Ländern ausführlich berichtet (so beispielsweise im Tagesspiegel). Die Analyse bildete auch die Grundlage für Gespräche mit NGOs und politischen Akteuren, um das Bewusstsein für das Potenzial von pflanzlichem, fermentiertem und kultiviertem Fleisch zur Unterstützung nachhaltiger Landwirtschaft zu schärfen.
Diese Studie bildete den Ausgangspunkt für unseren neuen Arbeitsschwerpunkt, der sich auf die Landwirtschaft konzentriert. Das Ziel dieses Schwerpunktes ist es, einen kontinuierlichen Dialog mit Landwirt:innen aufzubauen, um die Chancen und Herausforderungen für Landwirte, die sich aus der Proteindiversifizierung ergeben, besser zu verstehen.
Wir haben die Argumentation für politische Entscheidungsträger und Investoren mit einer Analyse des wirtschaftlichen Potenzials von alternativen Proteinen untermauert.
Für politische Entscheidungsträger sind ökonomische Auswirkungen von hoher Relevanz. Daher ist das Schaffen einer Datengrundlage zum ökonomischen Potenzial dieser Lebensmittel ein wichtiger Schritt für politische Unterstützung. Deshalb haben wir in diesem Jahr eine neue Analyse in Auftrag gegeben, um eine Wissenslücke zu schließen und die potenziellen ökonomischen Vorteile von kultiviertem Fleisch zusätzlich zum Klimaschutz besser zu verstehen.
„The Future of Cultivated Meat in Europe“, ein Report, der Anfang Oktober 2024 vom Beratungsunternehmen Systemiq erstellt und von GFI Europe finanziert wurde, beinhaltet eine erste Analyse über die ökonomischen Vorteile, die ein Sektor für kultiviertes Fleisch für die EU insgesamt sowie insbesondere für Deutschland, Frankreich, Polen und Spanien bieten könnte. Laut der Analyse könnte der Sektor bis 2050 beispielsweise bis zu 90.000 neue hochqualifizierte Arbeitsplätze in der EU schaffen, davon bis zu 15.000 in Deutschland.
Die wichtigste Erkenntnis aus dem Report ist, dass kultiviertes Fleisch mit erheblichen Investitionen und Unterstützung nicht nur zu einer Reduzierung der klimaschädlichen Emissionen um bis zu 3,5 Gt bis 2050 führen, sondern auch 20 bis 85 Milliarden Euro pro Jahr zur EU-Wirtschaft beitragen könnte. Diese Zahlen sollten zwar nicht als verbindliche Prognose für den Sektor verstanden werden, sie veranschaulichen jedoch das enorme Potenzial des Sektors, nicht nur einen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel zu leisten, sondern auch ökonomische Vorteile zu generieren.
Außerdem haben wir im zweiten Jahr in Folge eine Marktanalyse zur Entwicklung der pflanzenbasierten Produkte im Einzelhandel in wichtigen europäischen Ländern erstellt und veröffentlicht. Trotz der vorherrschenden Meinung, dass sich der Trend zu pflanzenbasierten Produkten verlangsamt, zeigte sich ein nuanciertes aber vielversprechendes Bild: Der Umsatz mit pflanzlichen Lebensmitteln in sechs europäischen Ländern belief sich im Jahr 2023 auf 5,4 Milliarden Euro – ein Anstieg von 5,5 % gegenüber 2022. Deutschland ist bereits der mit Abstand größte Markt für pflanzliche Lebensmittel in Europa und baut seinen Vorsprung noch weiter aus. 2023 ist der deutsche Markt für pflanzliche Alternativprodukte um 8 % auf eine neue Rekordmarke von 2,2 Milliarden Euro gewachsen.
Diese frei zugänglichen Reports stießen auf großes Medieninteresse (u.a. Lebensmittelzeitung, Handelsblatt) und lieferten eine Momentaufnahme der neuesten Trends, um die weitere Entwicklung des Sektors zu unterstützen.
Wir haben einen klareren Blick auf das wissenschaftliche Ökosystem ermöglicht und große öffentliche Investitionen begrüßt.
Bis zu diesem Jahr war die Bandbreite der Forschung zu alternativen Proteinen in Europa noch nie systematisch erfasst worden. Das Wissen darüber, welche Forschung wo und in welchem Umfang finanziert wird und welche Ergebnisse diese Finanzierung in Form von wissenschaftlichen Veröffentlichungen hervorbringt, ist äußerst wertvoll, um die aktuellen Stärken und Schwächen Europas im Bereich Forschung und Entwicklung zu verstehen und dementsprechend einen Kurs festzulegen. Im Oktober haben wir zwei Reports veröffentlicht, in denen wir diese Fragen im Detail untersuchen.
Die Reports zeigen, dass europäische Wissenschaftler:innen im Jahr 2023 insgesamt472 Artikel zu pflanzenbasierten Lebensmitteln, kultiviertem Fleisch und Fermentation veröffentlicht haben – mehr als ein Viertel aller jemals auf diesem Gebiet veröffentlichten Studien. Im Vergleich zu nur 19 im Jahr 2010. Es zeigte sich jedoch auch, dass die Forschungsfinanzierung zwar zunimmt, die Investitionen jedoch noch weit hinter den Empfehlungen des Global Innovation Needs Assessment zurückbleiben, das aufzeigt, was erforderlich wäre, um das Potenzial alternativer Proteine auszuschöpfen.
Es ist offensichtlich, dass dieser Bereich noch in den Kinderschuhen steckt und Forscher:innen, die sich mit alternativen Proteinen befassen, bislang weit weniger zusammenarbeiten als Forscher:innen in anderen Disziplinen. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit, ein kohärentes Netzwerk mit internationalen Programmen aufzubauen, die Wissenschaftler:innen zusammenbringen.
Um diese dringend benötigte Entwicklung des wissenschaftlichen Ökosystems zu fördern, haben wir in diesem Jahr zwei neue Mitglieder in unserem SciTech-Team begrüßt: Eileen und Ismäel. Sie sollen Netzwerke aufbauen und die Forschungszusammenarbeit zwischen Universitäten und Forschungseinrichtungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie in den nordischen Ländern fördern – zwei Hotspots für Innovationen im Bereich alternativer Proteine.
In diesem Jahr wuchs auch das Interesse von öffentlicher Seite.
Die Politik in Deutschland hat in diesem Jahr angekündigt, die Unterstützung der Proteindiversifikation stärker zu fördern. Hierzu gehörten unter anderem die Erarbeitung einer umfassenden Proteinstrategie mit Schwerpunkt auf pflanzlichen Proteinen für den menschlichen Verzehr, die Gründung eines Kompetenzzentrums für Proteine der Zukunft und der Start von neuen Förderprogrammen. Wir haben unsere Expertise dabei in zahlreichen Workshops und im neu entstandenen Stakeholdernetzwerk Proteine der Zukunft eingebracht.
Auf EU-Ebene rückt die Biotechnologie als Instrument zur Stärkung der Resilienz immer mehr in den Vordergrund. Lebensmittel sind dabei ein entscheidender Faktor – einer, bei dem Europa gut aufgestellt ist, um eine Führungsrolle zu übernehmen. Mit dem Amtsantritt der neuen Europäischen Kommission werden wir die politischen Entscheidungsträger der EU dazu ermutigen, alternative Proteine als entscheidendes fehlendes Puzzleteil zur Bewältigung vieler Herausforderungen der EU, anzuerkennen.
Wir haben die Bedeutung alternativer Proteine für die öffentliche Gesundheit hervorgehoben.
Es gibt auch ein wachsendes Bewusstsein unter den Beschäftigten im Gesundheitswesen für die doppelte Herausforderung von Gesundheit und Nachhaltigkeit in der Ernährung und ein zunehmendes Interesse am Potenzial pflanzlicher Lebensmittel als Lösung dafür.
Nach der Veröffentlichung unseres Reports über pflanzliches Fleisch und Gesundheit in Europa (engl.) Ende 2023 haben wir in diesem Jahr die Möglichkeiten hervorgehoben, die alternative Proteine im Bereich der öffentlichen Gesundheit und Ernährung bieten und haben dazu Informationsmaterialien auf Deutsch, Italienisch und Spanisch erstellt.
Helfen Sie uns, 2025 sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben.
Wir sind überzeugt, dass wir uns nicht zwischen den Lebensmitteln, die wir lieben und Klimaschutz entscheiden müssen. Ziel unserer Arbeit ist es, Lösungen und Wege zu finden und aufzuzeigen, unsere Traditionen beizubehalten und gleichzeitig ein Ernährungssystem aufzubauen, das für uns und den Planeten gesünder ist. Dieser wirkungsorientierte Ansatz hat dazu geführt, dass wir zum dritten Mal in Folge als eine von „Giving Green’s top climate charities“ ausgewählt wurden.
Es ist eine große Aufgabe, liebgewonne Lebensmittel auf nachhaltigere Weise bereitzustellen – ohne Abstriche bei Geschmack, Preis und Verfügbarkeit. Aber Europas verborgene Stärken in den Bereichen Lebensmittel und Innovation machen es gut aufgestellt, diesen Kurs einzuschlagen.
Dafür müssen wir das Potenzial alternativer Proteine in Diskurse außerhalb der Food-Innovations-Blase tragen und eine breite Koalition von Verbündeten schmieden. Die Produktion von Lebensmitteln ist ein entscheidender, aber allzu oft übersehener Faktor im Kampf gegen den Klimawandel, und innerhalb dieses Bereichs sind alternative Proteine eine der wirksamsten Möglichkeiten, um die Herausforderung zu meistern, die vor uns liegt.
Unser leidenschaftliches und engagiertes Team arbeitet jeden Tag daran, das Potenzial von pflanzlichen Lebensmitteln, kultiviertem Fleisch und Fermentation zu erschließen. Diese Arbeit ist jedoch nur dank der Menschen möglich, die uns fördern. Wir teilen das Engagement für eine bessere Welt für die Menschen, den Planeten und die Tiere.
Machen Sie mit und helfen Sie uns, gemeinsam daran zu arbeiten, dass die ‘Klima-Kuh im Raum’ im Jahr 2025 endlich angemessen adressiert wird.