Österreich: Initiativen gegen kultiviertes Fleisch in einzelnen Bundesländern fußen auf irreführenden Behauptungen
25. April 2024
Aktuelle Initiativen gegen kultiviertes Fleisch, wie Entschließungsanträge im Kärntner Landtag und Petitionen in einzelnen Bundesländern, basieren auf nicht zutreffenden Annahmen. GFI Europe fordert eine faktenbasierte Debatte auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen.
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Das Thema kultiviertes Fleisch wird in Österreich kontrovers diskutiert, sowohl auf Bundesebene als auch in einzelnen Bundesländern. Einige aktuelle Initiativen zielen darauf, kultiviertes Fleisch pauschal in der gesamten EU zu verbieten, noch bevor überhaupt ein erster Zulassungsantrag bei den zuständigen Behörden eingegangen ist – darunter Entschließungsanträge im Kärntner Landtag und Petitionen gegen kultiviertes Fleisch in einzelnen Bundesländern.
Diese Initiativen fußen in großen Teilen auf irreführenden Behauptungen zur Klimabilanz von kultiviertem Fleisch, zu gesundheitlichen Auswirkungen, zum Tierschutz und zu angeblichen Monopolstrukturen, die einem Faktencheck nicht standhalten:
- Gesundheit: Bevor kultiviertes Fleisch in Österreich verkauft werden darf, muss es ein umfassendes Zulassungsverfahren auf EU-Ebene durchlaufen. Dieses Verfahren umfasst eine gründliche Prüfung der Sicherheit und des Nährwerts von kultiviertem Fleisch, die den weltweit höchsten Standards für Lebensmittelsicherheit folgt. In Singapur, wo kultiviertes Hühnerfleisch bereits zugelassen ist, hat die Prüfung ergeben, dass kultiviertes Fleisch einen hohen Proteingehalt, gesunde ungesättigte Fette und viele reichhaltige Mineralstoffe aufweist. Auch ein Bericht der Welternährungsorganisation FAO aus dem April 2023 entkräftete einige Spekulationen, die zuvor über die Sicherheit von kultiviertem Fleisch geäußert worden waren, und stellt fest, dass die potenziellen Risiken von kultiviertem Fleisch bei herkömmlich erzeugtem Fleisch ebenfalls bestehen.
- Klimabilanz: Da kultiviertes Fleisch bislang noch nicht in industriellem Maßstab hergestellt wird, können die Umweltauswirkungen derzeit nur geschätzt und nicht genau gemessen werden. Laut einer auf empirischen Daten beruhenden Analyse, die im International Journal of Life Cycle Assessment veröffentlicht wurde, könnten bei der Produktion von kultiviertem Fleisch mit Erneuerbaren Energien im Vergleich zur Tierhaltung bis zu 92% Treibhausgasemissionen, bis zu 90% Flächenbedarf und bis zu 94% Luftschadstoffe reduziert werden. Gelegentlich wird behauptet, dass kultiviertes Fleisch mehr Treibhausgase als Fleisch aus der Tierhaltung verursachen könnte. Dies stützt sich auf einen höchst umstrittenen Vorabdruck, der nicht peer-reviewed wurde und auf Annahmen zum Herstellungsprozess basiert, die nicht dem entsprechen, wie die Unternehmen in dem Bereich tatsächlich arbeiten.
- Tierschutz: Für die Herstellung von kultiviertem Fleisch wird einem Tier eine kleine Probe von Zellen entnommen und in einen Fermenter gegeben. Dort erhalten die Zellen das Wasser, die Nährstoffe und die Wärme, die sie für ihre Vermehrung und ihr Wachstum benötigen. In der frühen Phase der Entwicklung von kultiviertem Fleisch wurde fetales Kälberserum (FKS) eingesetzt, um das Wachstum der Zellen zu unterstützen. Für die Herstellung im kommerziellen Maßstab ist es nicht geeignet, denn denn dies wäre zu teuer, die Verfügbarkeit ist begrenzt und das würde das Ziel konterkarieren, Tierleid zu reduzieren. Viele Unternehmen, die an kultiviertem Fleisch arbeiten, haben bereits bewiesen, dass sie Fleisch ohne FBS kultivieren können, darunter Good Meat, Vow und Aleph Farms, deren Produkt gerade in der Schweiz und in Großbritannien im Zulassungsverfahren ist.
- Marktstruktur: Kultiviertes Fleisch kann von Unternehmen jeder Größe hergestellt werden. So wie Bier von Kleinstbrauereien und internationalen Großunternehmen produziert werden kann, kann auch Fleisch in verschiedenen Größenordnungen kultiviert werden. Gegenwärtig sind es nicht große Industrieunternehmen, die den Sektor voranbringen, sondern vor allem 174 kleine Startups. Der beste Weg, um ein vielfältiges Ökosystem von Unternehmen jeder Größenordnung zu ermöglichen, sind öffentliche Investitionen in Forschung und Entwicklung in diesem Bereich.
Vor allem aber ist kultiviertes Fleisch keine Bedrohung für die Landwirtschaft, sondern eine sinnvolle Ergänzung derselben. Mit kultiviertem Fleisch sollen nicht kleinbäuerliche Strukturen oder nachhaltige Formen der Fleischerzeugung wie die Weidehaltung ersetzt werden. Kultiviertes Fleisch soll dabei helfen, die weltweit wachsende Nachfrage nach Fleisch auf eine nachhaltige Weise zu decken, die ansonsten durch intensive Formen der Tierhaltung gedeckt werden müsste. Zudem schafft die Kultivierung von Fleisch auch neue wirtschaftliche Chancen für Österreich, zum Beispiel durch die Herstellung von kultiviertem Fisch in einem Land, das über keinen eigenen Meereszugang verfügt.
Ein Verbot von kultiviertem Fleisch ohne wissenschaftliche Grundlage würde auch der vorherrschenden Meinung in Österreich widersprechen. In einer repräsentativen Umfrage, die das Good Food Institute Europe beim Meinungsforschungsinstitut YouGov in Auftrag gegeben hat, haben sich 47% der Befragten dafür ausgesprochen, dass es Alternativen zu tierischen Produkten wie Fleisch braucht. 63% der Befragten haben angegeben, dass kultiviertes Fleisch in Österreich zugelassen werden sollte, wenn die Behörden für Lebensmittelsicherheit es für sicher und nahrhaft befinden, und 66% haben gesagt, wenn kultiviertes Fleisch in Österreich auf den Markt kommt, sollte es auch in Österreich produziert werden, so dass die heimische Wirtschaft davon profitieren kann.
Ivo Rzegotta, zuständig für Österreich beim Good Food Institute Europe:
„Kultiviertes Fleisch schafft ein zusätzliches Angebot für klima- und umweltbewusste Verbraucher. Es soll nicht die Kuh auf der Alm ersetzen, sondern dabei helfen, die global steigende Nachfrage nach Fleisch zu bedienen, und eine Alternative zu weniger nachhaltigen Formen der Fleischproduktion bieten, die es auch in Österreich gibt. Aktuelle Initiativen in Österreich gegen kultiviertes Fleisch fußen auf unzutreffenden Annahmen und verunsichern Verbraucher und Politik. Um das Potenzial für den Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz realistisch einschätzen zu können, braucht es eine konstruktive Diskussion auf Basis von wissenschaftlich fundierten Fakten statt einer ideologisch aufgeladenen Debatte.”