GFI-Report: Deutsche Branche für alternative Proteine ist gut aufgestellt, braucht aber stärkere Unterstützung aus der Politik 

9. Mai 2023

The German Bundestag

In Deutschland formen innovative Startups, etablierte Unternehmen aus der Lebensmittelwirtschaft, Zulieferer aus der Industrie und renommierte Hochschulen und Forschungseinrichtungen ein leistungsstarkes Ökosystem für die Entwicklung von pflanzlichen, kultivierten und fermentationsbasierten Alternativen zu Produkten aus der Tierhaltung. Gleichzeitig ist Deutschland der größte Absatzmarkt für pflanzenbasierte Produkte und einer der vielversprechendsten Märkte für kultivierte und fermentationsbasierte Produkte.  

Das zeigt ein neuer Report des Good Food Institute Europe (GFI), einem weltweit führenden Think Tank, der sich für ein nachhaltiges, sicheres und gerechtes Ernährungssystem einsetzt. Der „Alternative Proteine Report Deutschland” ist die erste umfangreiche Bestandsaufnahme zur kommerziellen, wissenschaftlichen und politischen Landschaft in Deutschland. 

Kommerzielle Landschaft und Marktentwicklung in Deutschland

Weltweit sind mindestens 1.500 Unternehmen ausschließlich in der Entwicklung von Alternativprodukten auf Basis von Pflanzen, Kultivierung und Fermentation tätig. In Deutschland arbeiten mindestens 90 Unternehmen daran, darunter viele Startups, die vielversprechende und einzigartige Ansätze verfolgen. Im Bereich Fermentation gibt es in Deutschland die drittmeisten Startups nach den USA und Israel, und auch in den anderen beiden Säulen gibt es viele innovative Startups. 

Diese innovative kommerzielle Landschaft trifft auf einen starken Heimatmarkt und aufgeschlossene Verbraucher:innen. Mit Umsätzen von 1,9 Milliarden Euro im Jahr 2022 ist der deutsche Markt für Alternativprodukte zu Fleisch, Fisch und Milchprodukten nicht nur der mit Abstand größte Plantbased-Markt in Europa, sondern auch der Markt mit dem größten Wachstum in Westeuropa (11%). 

Die steigende Nachfrage nach pflanzenbasierten Fleisch- und Wurstprodukten spiegelt sich auch im Anstieg der Produktion: 2022 wurden in Deutschland 109.800 Tonnen pflanzliche Fleischalternativen im Wert von 537 Millionen Euro hergestellt, was einem Anstieg von 12% gegenüber 2021 und einem Wachstum von 82% gegenüber 2019 entspricht. Im gleichen Zeitraum ist der Verzehr von tierischen Produkten nach Angaben der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) weiter zurückgegangen – bei Fleisch um rund 8% auf 52kg pro Person, bei Kuhmilch um 6% auf 46kg und bei Käse aus Kuhmilch um 3% auf 25kg.  

Forschungslandschaft in Deutschland

Deutschland ist grundsätzlich sehr gut aufgestellt ist, um bei der Forschung zu alternativen Proteinquellen eine tragende Rolle einzunehmen — von der Grundlagenforschung, über den Transfer von Technologie in die Praxis bis hin zur Skalierung der Produktion. Laut einer GFI-Auswertung haben rund 200 Forschende in Deutschland bereits zu Alternativprodukten auf Basis von Pflanzen, Kultivierung und Fermentation veröffentlicht. Damit gehört Deutschland neben Großbritannien und den Niederlanden zu den Ländern Europas, in denen am meisten zu dem Thema publiziert und geforscht wird. 

An einigen Hochschulen wird bereits vertieft zu alternativen Proteinen geforscht, sowohl zu technischen als auch zu wirtschaftlichen, sozialwissenschaftlichen und regulatorischen Aspekten. Eine herausragende Entwicklung 2022 war die Gründung des weltweit ersten Lehrstuhls für zelluläre Landwirtschaft — also Zellkultivierung und Präzisionsfermentation — an der Technischen Universität München. Doch gemessen an der Leistungsfähigkeit des deutschen Wissenschaftsstandorts bleiben in Deutschland derzeit noch viele Gelegenheiten ungenutzt.

Der politische Handlungsbedarf 

In den Geschäftsbereichen der Bundesministerien für Ernährung und Landwirtschaft, Wirtschaft und Klimaschutz sowie Bildung und Forschung gab es in den vergangenen Jahren immer wieder vereinzelte Fördermaßnahmen in diesem Bereich. Zum Beispiel fördert der Bund seit 2022 den Forschungsverbund Cellzero Meat mit 1,2 Millionen Euro, der Verfahren zur Kultivierung von Fleisch mit tierfreien und nachhaltigen Verfahren voranbringen soll. Doch diese Fördermaßnahmen sind vom Volumen her vergleichsweise niedrig und folgen keiner kohärenten Gesamtstrategie. 

Währenddessen investieren große Industrieländer wie die USA und China, Pioniere auf dem Gebiet der alternativen Proteine wie Israel und Singapur und immer mehr europäische Nachbarländer große Summen in den Sektor. In den Niederlanden hat die Regierung 2022 im Rahmen des National Growth Funds 60 Millionen Euro für kultiviertes Fleisch und Präzisionsfermentation bereitgestellt, in Dänemark investiert die Regierung einen dreistelligen Millionenbertag in pflanzenbasierte Proteine. 

15 Handlungsempfehlungen für die Politik

In dem Report schlägt das Good Food Institute Europe 15 konkrete Maßnahmen in fünf Handlungsfeldern vor, mit denen die Politik Deutschland wieder in eine Vorreiterrolle bei der Protein- und Ernährungswende bringen kann:

  1. Verankerung der Proteinwende im Regierungsprogramm
  2. Entwicklung einer Nationalen Roadmap für die Proteinwende
  3. Ernennung eines Nationalen Koordinators für alternative Proteine
  4. Erhöhung der Forschungsförderung für alternative Proteine
  5. Etablierung eines Forschungszentrums für alternative Proteine
  6. Verankerung von alternativen Proteinen an deutschen Hochschulen
  7. Evidenzbasierte Entscheidungen im Zulassungsverfahren
  8. Orientierung für das Zulassungsverfahren und für Verkostungen
  9. Evaluierung des Zulassungsverfahrens im Hinblick auf mehr Effizienz
  10. Kreditbürgschaften für den Aufbau von Infrastruktur
  11. Zuschüsse für Startups in der Skalierungsphase
  12. Unterstützung von Mindestabnahmeverträgen
  13. Senkung der Mehrwertsteuer für pflanzenbasierte Optionen
  14. Klare Kennzeichnungsregelungen für pflanzenbasierte Lebensmittel
  15. Klare Kennzeichnungsregelungen für kultiviertes Fleisch

Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager Deutschland, GFI Europe:
„Deutschland hat hohe Summen in die Energiewende und Transportwende investiert, vergleichbare Anstrengungen braucht es jetzt auch bei der Protein- und Ernährungswende. Um das Potenzial dieser neuen Wege der Lebensmittelherstellung für den Klima-, Umwelt- und Gesundheitsschutz zu heben, sollte die Bundesregierung eine nationale Roadmap für alternative Proteine erarbeiten, die ein verbindliches Ziel für den Anteil von nachhaltigen Optionen am Gesamtmarkt definiert, und diese Roadmap mit konkreten politischen Maßnahmen unterlegen. Insbesondere braucht es einen deutlichen Ausbau der öffentlichen Forschungsförderung sowie eine aktivere Rolle der Regierung bei der Untersützung von heimischen Unternehmen bei den Zulassungsverfahren für neuartigen Lebensmitteln auf der europäischen Ebene.” 

Author

Ivo Rzegotta

Ivo Rzegotta Senior Public Affairs Manager, Germany

Ivo works with policymakers in Germany to advance sustainable proteins in Europe’s largest country.